[Update: Dezember 2020]
Als ich meiner Schwiegermutter beim letzten Telefonat erzählte, dass wir hier in Berlin auf einem japanischen Weihnachtsmarkt waren, fielen ihr fast die Stäbchen aus der Hand.
Es ist seltsam, dass es in Deutschland japanischen Weihnachtsmärkten gibt (z.B. in Berlin 2018) , wo doch Weihnachten immer mit der „westlichen Kultur“ verbunden wird. Das ist ein bisschen so, als gehe man in Amerika auf eine deutsche Halloween-Party, oder?
In Japan war meine Schwiegermutter selbst noch nie auf so einem Weihnachtsmarkt, will aber unbedingt mal zur Adventszeit nach Deutschland, um das ECHTE WEIHNACHTEN zu erleben.
„Feiern die Japaner überhaupt Weihnachten?“
fragt meine Freundin, mit der wir zusammen den japanischen Weihnachtsmarkt erkunden.
„Nein, eigentlich nicht“ – will ich antworten, als Daisuke mir zuvorkommt: „Ja, natürlich! Aber nicht so wie in Deutschland!“
Damit bringt er es ganz gut auf den Punkt.
Weihnachten in Japan ist eine riesige Show
Die weihnachtliche Atmosphäre in Japan hat man sich von den Amerikanern abgeguckt und so gut es geht vermarktet. Es geht darum, eine Stimmung zu erzeugen, um – seien wir doch mal ehrlich – das Geschäft anzukurbeln.
Wir kennen das in Deutschland vom Valentinstag oder seit einigen Jahren auch von Halloween.
Weihnachtsbeleuchtung in Deutschland, das gehört zur Adventszeit: In den Vorgärten findet man beleuchtete Tannen und in den Fenstern sind Lichterketten oder Weihnachtsterne angebracht. Private Weihnachtsbeleuchtung habe ich in Japan sehr selten gesehen. „Da muss ein Ausländer wohnen!“, denke ich, immer wenn ich doch mal ein dekoriertes Fenster sehe.
Aber in den japanischen Innenstädten geht es ab:

©2016 | Foto von Tokyo, der Moloch und ich | Weihnachtsbeleuchtung in Nakameguro (mit einem Klick auf’s Bild kommst du zum Instagram-Profil des Fotografen)
イルミネーション – Illumination
Tokyo erinnert an New York zur Weihnachtszeit, mit all der beeindruckenden Weihnachtsbeleuchtung in den Einkaufszentren und den berühmten Einkaufsstraßen. Bäume werden ab November mit kleinen Lichterketten behangen und verzaubern alles in weihnachtliche Romantik.
Die vielen Lämpchen an den Bäumen erinnern ein bisschen an den Frühling, wenn die Kirschbäume blühen.
Fern der Metropolen hält man sich etwas zurück. Dabei kann die Einkaufsstraße in der Innenstadt von Fukushima durchaus mit dem Kudamm in Berlin mithalten, weihnachtlich dekorativ gesehen.
サンタクロース – Santa Kurosu – Santa Clause
Weihnachtsmänner, wohin man guckt. Auch die Werbung bedient sich in dieser Zeit des alten Mannes mit rotem Mantel und dem weißem Bart.
赤い鼻のトナカイルドルフ – Akai hana no tonakai rudorufu – Rudolph, The Red Nosed Reindeer
Ab Anfang November wird die Kaufhausmusik gnadenlos durch Weihnachtslieder ersetzt. Selbst ich als absoluter Weihnachtsmuffel erwische mich dann, wie ich ein „Rudolph, the rednosed reindeer“ vor mich hinsumme. Die bekanntesten Weihnachtslieder gibt es auch mit japanischen Texten. Und auch ein deutsches „Kling Glöckchen, klingelingeling“ hab ich schon gehört.
Musik hört man aber nicht nur in den Supermärkten und Kaufhäusern. In Japan „singen“ auch die Ampelanlagen. Japanische Ampeln sind oft mit Lautsprechern versehen. Zur Weihnachtszeit werden Weihnachtslieder gespielt. Das vermittelt ein seltsames Gefühl, wenn man es nicht kennt. Weihnachtsmusik scheint aus dem Nichts zu ertönen und mich den ganzen Tag zu begleiten, ob ich nun will oder nicht.
クリスマスプレゼント – Kurisumasu purezento – Weihnachtsgeschenke
Kinder bekommen von ihren Eltern Weihnachtsgeschenke – auch in Japan.
Dass die Geschenke unter einem Weihnachtsbaum liegen, na ja, das nicht unbedingt. Ich kenne nur wenige Familien, die einen Weihnachtsbaum aufstellen.
Wenn man ein traditionelles japanisches Haus mit Tatami-Fußboden (Fußboden aus Reisstroh – siehe Titelbild) bewohnt, dann sind echte Tannen unpraktisch, sobald sie zu rieseln beginnen. Wenn Weihnachtsbaum, dann eher ein künstlicher.
Wann wird „gefeiert“?
Kinder bekommen ihre Geschenke irgendwann zwischen dem 23. und 26. Dezember. Das scheint bei jeder Familie anders organisiert zu sein.
Zwischen 1989 und 2018 war der 23. Dezember ein nationaler Feiertag – Tenno no Tanjobi – das Land feierte den Geburtstag des Kaisers Akihito. Da wurde das Weihnachtsfest schon mal vorverlegt.
Daisuke erzählte mir, er habe als Kind immer am Heilig Abend, nach dem mehr als üppigen Abendessen seine Geschenke erhalten.
Meine beste Freundin hat ihrem Sohn die Geschenke immer am Morgen des 25. neben den Fernseher im Wohnzimmer gestellt.
Praktisch wie Japaner nun mal veranlagt sind, wird einfach gefeiert, wenn es zeitlich passt. Also eher am Wochenende. Der 24., 25. und 26. Dezember sind keine freien Tage – es wird ganz normal gearbeitet!
Drei kuriose Weihnachtstraditionen
Doch obwohl Weihnachten in Japan kein Feiertag ist, hat sich die ein oder andere Weihnachtstradition breit gemacht.
Das Internet ist voller Berichte über die kuriosen Weihnachtstraditionen in Japan. Im Ausland wird Japan gerne als das abgedrehte Land gezeigt. Leider ist Weihnachten in Japan so schrecklich unspektakulär, dass es sich eigentlich nicht darüber zu berichten lohnt. Deshalb springe ich jetzt einfach mal auf den Zug auf und präsentiere die drei bekannten Traditionen:
1. ケンタッキ―クリスマス – Kentucky Christmas
Eigentlich kenne ich kaum einen Japaner, der sein Weihnachtsessen tatsächlich bei der amerikanischen Fastfoodkette KFC bestellt.
Hängengeblieben ist bei der Marketingaktion zu Weihnachten am Ende dann aber doch etwas: Das traditionelle japanische Weihnachtsessen – Hähnchen.
Mit Kentucky ist „Kentucky Fried Chicken“ gemeint. KFC hat 1974 das frittierte Hähnchen als traditionelles Weihnachtsessen in Japan eingeführt. Mit einer aufwendigen Marketingkampagne und dem Gesicht des Colonel Harland Sanders, der mit seinen weißen Haaren ein wenig an Santa Claus erinnert, wurde die Kampagne ein voller Erfolg.
Noch heute kann man ab November das KFC Christmas Menü vorbestellen. Zum „Classic Menu“ gehören 8 frittierte Hähnchenkeulen, ein Weihnachtssalat, ein Schokoladenkuchen und ein Weihnachtsmotiv-Teller. Für etwa 4000 Yen (das sind 2015 rund 30€) nicht gerade billig, aber Kult und besonders bei jungen Leuten sehr beliebt.
2. クリスマスケーキ – Kurisumasu keki – Weihnachtstorte
Es handelt sich um eine Erdbeer-Sahne-Torte:
Erdbeeren sind rot und Sahne ist weiß. Damit wären die Weihnachtsfarben rot & weiß untergebracht. Auch hier wurde aus gutem Marketing eine „Tradition“.
Die bekannte Konditorei FUJIYA (japanische Seite) bietet die Torten in unterschiedlichen Größen an. Sie sollen angeblich die „Erfinder“ dieser japanischen Tradition sein.
Warum KFC in seinem Menü allerdings Schokokuchen anbietet, konnte mir niemand erklären. Die einen sagen, wegen der Haltbarkeit. Andere vermuten, dass es rechtliche Gründe haben könnte (eher unwahrscheinlich, dass Fujiya in Japan ein Patent auf Erdbeertorte hat!).
Am wahrscheinlichsten ist wohl, dass Erdbeeren im Winter zu teuer sind für die Fast-Food-Kette.
3. Weihnachten in Japan ist ein Fest für Verliebte
Ich muss gestehen, diese Tradition ist komplett an mir vorbei gegangen.
Zu Weihnachten verabreden sich viele Paare, man schaut sich die Weihnachtsbeleuchtung in den Straßen an, geht dann zum Essen in ein romantisches Restaurant, bei Kerzenschein werden Weihnachtsgeschenke ausgetauscht und anschließend geht es in ein Hotel, wo man die Nacht oder ein paar Stunden miteinander verbringt. Alles muss im Vorfeld reserviert und gut geplant sein.
Eine Mischung aus amerikanischem Valentinstag und Abschlussball, dieses Christmas-Dating.
Daisuke und ich sind über die „Dating-Phase“ längst hinweg, als wir unser erstes Weihnachten in Japan zusammen „feiern“. Ich lebe bei seiner Familie im Haus und auch, wenn wir bis zur Hochzeit getrennte Zimmer haben, wären wir auf die Idee mit dem Hotel nicht gekommen.
Insgeheim glaube ich, er hat mir diese Tradition bewusst verschwiegen, weil das Date komplett vom Mann bezahlt wird!!!
Warum wir nie in Japan eine Verabredung hatten, erfährst du HIER.
Mein erstes Weihnachtsfest
Weihnachtsgeschenke gab es bei uns nicht. Dafür aber ein ganz besonders üppiges Festmahl mit Hähnchen und einem großen Krebs aus Hokkaido.
Bei der Familie meines Mannes, wo ich mein erstes Weihnachten in Japan erlebte, wurden Hähnchen-Keulen selbst mariniert und dann im Ofen knusprig gebraten.
Auch die Kurisumasu-keki, die Weihnachtstorte mit frischen Erdbeeren haben wir selbstgebacken. Dabei erklärte man mir auch, warum es zu Weihnachten unbedingt Erdbeeren sein müssen: man kann so schöne Weihnachtsmänner daraus machen.
Wer noch eine gute Business-Idee für Japan zu Weihnachten sucht:
- Pommes rot/weiß (unter belgischer Fahne vermarkten)
- Rotkohl und Sauerkraut Salat (unter deutscher Fahne vermarkten)
- vielleicht irgendwas mit Schnee und Blut?… mehr Ideen kannst du unten im Kommentarfeld hinterlassen
Die Japanische Flagge selbst sieht ja schon sehr weihnachtlich aus!
Was ich vermisse
Da Weihnachten in Japan kein nationaler Feiertag ist und alle ganz normal zur Arbeit müssen, fehlt dem Weihnachten einfach etwas ganz Entscheidendes:
Zur Ruhe kommen und einfach ein paar freie Tage genießen
Das gehört für mich zu Weihnachten.
Vom christlichen Hintergrund, warum die Nacht zur geweihten wurde, will ich gar nicht anfangen. Da nur ca. 1% aller Japaner Christen sind, wird klar, warum sich Weihnachten nie als „echter Feiertag“ durchsetzen konnte.
Schon am 25. Dezember werden die Supermärkte und Kaufhäuser neu dekoriert. Alles bereitet sich jetzt auf das größte Fest des Jahres vor:
Was den Deutschen ihr Weihnachten, ist den Japanern ihr Neujahrsfest
Und endlich kann auch der Japaner entspannen und hat ein paar Tage frei (wenn er nicht gerade im Handel, in der Gastronomie, oder als Fotograf arbeitet).
大晦日 – Omisoka – Silvester
Traditionell gibt es Soba (das sind Nudeln aus Buchweizen) und um Mitternacht geht es zum Tempel. Da eher besinnlich gefeiert wird, erinnert es an den Heilig Abend und unserer Mitternachtsmette. Mehr zu den Vorbereitungen auf das Neujahrsfest HIER.
お正月– O-Shogatsu – Neujahr
Endlich haben alle frei. Supermärkte haben allerdings weiterhin geöffnet. Es gibt speziell für die Neujahrstage Gerichte, z.B. O-Zoni (Neujahrs-Suppe mit „Reis-Klößen“), es werden Geld-Geschenke verteilt, Neujahrswünsche übermittelt, Neujahrskarten gelesen, viel gegessen und Familienfotos im Kimono gemacht (oder war das nur in meiner Familie so, weil meine Schwiegermutter Kimono-Lehrerin ist und mein Mann Fotograf?).
Alle sind in Festtagsstimmung und ein bisschen aufgeregt. Die Tage sind einfach etwas Besonderes, ganz wie bei uns Weihnachten.
Wie das Neue Jahr gefeiert wird erfährst du HIER. Spätestens dann wird verständlich, warum Weihnachten in Japan etwas zurückhaltender gefeiert wird!
Anmerkung zum Schluss
In Japan steht man auf Verkleidungen. Ab November kann man für wenig Geld ein Weihnachts-Kostüm kaufen. Man sieht den ein oder anderen sogar damit in der Stadt rumlaufen. Das habe ich mich nie getraut, war ich als Ausländerin in Fukushima ohnehin schon sehr auffällig. Obwohl ich natürlich auch so ein Kostüm besitze und anfänglich dachte: Super, kann ich mal inkognito ausgehen…
Fröhliche und erholsame Weihnachten.
Deine Daniela
Zum Update
Dieser Artikel ist 2015 entstanden, als einer der ersten Artikel auf Nipponinsider.
Eine kleine Überarbeitung und einige Ergänzungen erfolgte 2016 und 2020, denn viel hat sich in diesem Jahr nicht getan – ein neuer Artikel hätte sich an dieser Stelle also nicht gelohnt.
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Toller Beitrag mit vielen interessanten Informationen 🙂 Wieder etwas neues über Japan gelernt!
Danke. Das freut mich sehr 🙂
Weihnachten würde ich gerne einmal in Japan verbringen 😀
Hi Miho,
japanische Illuminiation ist schon grandios, nicht so ein paar Lichterkettchen, wie bei uns in Europa. Dieses Jahr vielleicht? Weihnachten in Japan!
Pingback: Weihnachten rund um die Welt – 8 Reiseblogger erzählen | Tiny Traveler
Interessant, Gegensätze und Gemeinsamkeiten werden deutlich.
Ich habe das Gefühl, dass es jedes Jahr mehr Weihnachtsdeko und Musik gibt in Japan.
In diesem Sinne eine wundervolle Adventszeit
Daniela
Pingback: Süße Weihnachts-MochI, gefüllt mit Azukibohnencreme und Physalis
Was heisst denn überhaupt Kurisumasu übersetzt?
Das „u“ ist im Japanischen kaum hörbar… Also gesprochen: kris-mas. Oder anders geschrieben: Chris-mas 😉
Würde mir nicht gefallen, Normale Arbeitstage? Ein Fest das bloß für Paare sein soll? Kann ich mich nicht mit identifizieren und dann auch noch an Ampeln diese schreckliche Weihnachtsmusik mit zu kriegen, ist der Horror.