Meine erste Reise nach Tokyo

Sag niemals NIEMALS! Erinnerungen an meine erste Japanreise. Beim Sumo Tournament in Tokyo 2001 | Nipponinsider Japanblog

Ich verrate dir heute ein Geheimnis über mich.

Das ist schon lange fällig.

Als ich anfing die ersten Artikel für Nipponinsider zu schreiben, da erinnerte ich mich an meinen allerersten Besuch in Tokyo. „Darüber sollte ich schreiben!“, dachte ich im ersten Moment. Mein zweiter Gedanke war dann allerdings:

Das darf ich NIEMALS auf dem Blog veröffentlichen.
Ich könnte meine Glaubhaftigkeit als Nipponinsider verlieren. Denn von meinem Motto Japan erleben & Japan verstehen war ich bei meinem ersten Besuch weit entfernt.

Von wegen Japan – verliebt, tolles Land, leckeres Essen, wunderschöne Natur, einzigartige Kultur, bla bla bla…

Nee.

So war das nicht – bei meiner ersten Reise nach Japan.

Alles war ganz anders.

Aber um das zu verstehen, muss ich ein bisschen ausholen und mal der Reihe nach erzählen.

Warum mich Japan nicht interessiert hat?

Ich gehöre nicht zu denen, die mit dem Japan-Virus infiziert wurden, weil sie schon in ihrer Kindheit Mangas verschlungen haben.

Zu meiner Zeit las ich Comics wie Micky Mouse und Donald Duck.

Ja genau, so alt bin ich schon.

Japanische Animes haben mein Interesse an Japan nicht geweckt. Die gab in meiner Zeit schon. Nur wusste ich als Kind nicht, dass die Zeichentrickserien aus Japan kamen.

Ich liebte HEIDI und wollte unbedingt mal nach Frankfurt. Auch die Berge haben mich, dank der Alm, auf der Heidi lebte, magisch angezogen.

Und ich wollte nach Genua in Italien und nach Argentinien, wo MARCO mit seinem kleinem Affen Tonio auf der Suche nach seiner Mutter war. Ich liebte diese Serie als Kind und wünschte mir immer einen Affen als Haustier. Ein Wunsch, den meine Eltern aber jedes Jahr zu Weihnachten konsequent ignorierten mit den Worten: „Das Christkind kann doch keine lebenden Tiere unter den Weihnachtsbaum legen!“.

Auch japanische Musik schaffte es damals nicht, zu mir durchzudringen. Da hatten Bands meiner Jugend, wie Guns ’n‘ Roses, Pearl Jam, Nirvana, Bad Religion oder Queen einfach zuviel Platz in meinem CD- und Kassettenregal eingenommen.

Bei dem musikalischen Einfluss muss ich wohl nicht erwähnen, dass ich für kleine süße Kätzchen oder Tamagochis wenig übrig hatte. In meinen Tagebüchern malte ich keine Hello Kittys, sondern Smileys mit × in den Augen, Totenköpfe mit ×, durchgestrichene 十 oder das niedliche X-Männchen, das die Arme in die Luft hebt.

Warum ich trotzdem einen Flug nach Tokyo buchte

Ich habe nicht immer schon vom Reisen durch die Welt geträumt. 

In meiner Kindheit und Jugend ging es jedes Jahr mit meinen Eltern im Auto für 6,5 Wochen nach Griechenland. Ich liebte diese Reisen. Wir fuhren durch das ganze Land, weil meine Verwandschaft sich schön über Festland und Inseln verteilt hatte. Reisen bedeutete für mich immer „ins Auto steigen und losfahren!“.

Wäre die Amtssprache in Griechenland Englisch gewesen, dann hätte ich mir damals den weiten Weg nach Neuseeland sicher erspart, um Englisch zu lernen.

Nach meiner Ausbildung als Mediengestalterin bekam ich ein Stipendium aus dem Programm der Begabtenförderung (wie sich das anhört!!!).

Englisch gehörte nicht zu meinen Begabungen, wie mir meine Lehrerin in der 5. Klasse deutlich zu verstehen gab.

„Daniela, du wirst NIEMALS Englisch lernen!“

An den Satz habe ich oft zurückdenken müssen, als ich Jahre später als Englisch-Lehrerin in Japan arbeitete. Denn lange Zeit habe ich das pädagogisch fragwürdige NIEMALS tatsächlich geglaubt und keine Zeit und Energie mehr in dieses hoffnungslose Projekt gesteckt.

Mit der Begabtenförderung wollte ich der englischen Sprache nochmal eine Chance geben und ging 1999 / 2000 nach Neuseeland auf eine Sprachschule.

Meine besten Freunde in dieser Zeit waren zwei Japaner, die sich in die selbe Frau verliebt hatten (nein, nicht in mich!). Ich habe die Beiden schon mal in einem Artikel über japanische Männer erwähnt.

In Neuseeland entstand auch mein Traum von einer Weltreise. Neuseeland ist voller weltbereisender Menschen. Die haben mich mit ihren Reisegeschichten und Erlebnissen stark beeindruckt. Das Reisefieber hatte mich damals voll erwischt.

So träumte ich von einer Weltreise, aber zunächst wollte ich das mit dem Rucksack-Reisen erstmal ausprobieren (nach Neuseeland ging ich mit zwei schweren Roll-Koffern).

Meine Testreise, wie ich sie immer nenne, fand im Jahr 2000 / 2001 statt und dauerte 6 Wochen. Davon verbrachte ich 5 Wochen in Malaysia, Thailand und Indonesien, bevor es weiter zu meinen beiden japanischen Freunden nach Tokyo ging.

Der Besuch meiner Freunde in Tokyo war der Grund, warum ich einen Flug von Frankfurt (YEAH!!!) über Kuala Lumpur in Malaysia nach Japan buchte.

In Japan sein, ohne in Japan zu sein.

Tokyo ist nicht Japan.

Das meine ich in diesem Fall aber nicht.

Ich war fast eine Woche in Tokyo, aber nur körperlich.

Denn mit dem Kopf war ich weit weg. Da war ich noch immer auf meiner unglaublichen Südostasien-Reise.

Ich nahm Tokyo wahr als einen Ort mit vielen Menschen, mit einem komplizierten U-Bahn-System, mit ungewöhnlichem Essen, mit vielen lauten Geräuschen und mit eisigen Temperaturen, denn ich kam im Januar.

Aber mich wirklich auf das Land einzulassen, gelang mir damals nicht.

In dieser Zeit hatte ich ganz andere Dinge zu verarbeiten.

Ich hatte in den 5 Wochen zuvor soviel erlebt.

Alles, was auf einer Reise NIEMALS passieren sollte, war in den 5 Wochen eingetreten. Es fühlte sich an, wie in einem Film mitzuspielen, in dem es der Drehbuchschreiber etwas übertrieben hatte: Raub, Liebe, Eifersucht, Lügen, Intrigen, Drogen, Mafia, Trennung, Wiedersehen, Flucht auf eine Insel und Abenteuer. Ach ja, gereist bin ich auch noch.

Ein Ort ist immer so, wie du dich gerade fühlst.

Ich fühlte mich grauenhaft. Und so fühlte sich Tokyo an.

Ich hatte mir das anders vorgestellt: Ich wollte ursprünglich auf Erkundungstour gehen, mit die Stadt ansehen, ein paar schräge Sachen erleben und einkaufen.

Mich einlesen und mich auf das Land vorbereiten wollte ich unterwegs, aber dazu ist es nie gekommen. Meinen unbenutzten Tokyo-Reiseführer habe ich gegen einen Indonesien-Reiseführer eingetauscht.

Nach den vergangenen 5 Wochen meiner Reise hatte ich auch erstmal genug von schrägen Sachen. Ich wollte einfach nur meine Ruhe und meine Gedanken sortieren.

Ich hatte keine 30 Stunden zuvor in einer kleinen Bambushütte auf einer Insel in einem Vulkansee gesessen und mir einen Ventilator gewünscht. Den gab es zwar, aber es gab kein Strom. Und jetzt schob ich mich zusammen mit 1000 anderen Mensch durch die langen Gänge der U-Bahn und durch neonbeleuchtete Straßen. 

Und hätte mein guter Freund, bei dem ich in Tokyo-Setagaya untergekommen war, nicht die Fernbedienung seiner Klimaanlage verlegt, dann hätte ich sein Appartment eine Woche lang nicht verlassen. Ganz egal, ob ich mich nun in einer der aufregendsten Städte der Welt befand oder nicht.

Taxi in Tokyo bei Nacht

Meine Woche in Tokyo

Weil es in der Wohnung so kalt war, bin ich morgens los und habe mir ein Internet-Café / Manga-Café gesucht. Das war irre teuer (nach Indonesien ist alles irre teuer!).

Egal.

Am 3. Tag in Folge im gleichen Internet-Café erhielt ich eine Rabatt-Karte und eine Art Mitgliedsausweis. Damit wurde es etwas günstiger.

Dort saß ich also von Morgens bis Mittags,schrieb meine Geschichte runter und begann mit der Verarbeitung der vielen Erlebnisse. 

Nach dem Mittagessen mit meinem guten Freund und seinen Arbeitskollegen, ging es zurück an den Computer, bis mir Abends die Finger weh taten und die Augen brannten. Ich war danach völlig erschöpft, aber das Programm ging weiter.
Wir zogen Abends gemeinsam mit anderen Leuten aus unserer Neuseeland-Zeit los. Es wurde eine Wiedersehens-Party nach der anderen gefeiert. So erlebte ich Tokyo.

Manga-Café in Shibuya (das gleichzeitig auch Internet-Café war), Freunde treffen, Essen und Trinken.

Ein bisschen Aktion und Kultur hatte ich dann aber doch: Ich war beim Finale vom großen Neujahrs-Sumo-Tournament, bin auf den Turm des Rathauses gefahren, war in irgendwelchen Parks und Tempel, deren Namen ich mir nicht gemerkt habe, lief durch bekannte Stadtteile, deren Namen ich mir auch nicht gemerkt habe und bin zum Aufwärmen in einen CD-Laden.

Dort habe ich bei japanischen Bands reingehört. 3 mal darfst du raten, welche CD ich mir als erstes geschnappt habe: Richtig! X-Japan! Das mit dem X hat mich sofort angesprochen. Die Musik allerdings weniger.

Während der wenigen Tagen in Tokyo habe ich nicht wirklich viel von der Stadt gesehen, aber ich habe meine komplette Testreise nochmal durchlebt, während ich sie niederschrieb und am Ende einen Haken drunter gemacht.

Meine alten Aufzeichnungen, die in Tokyo entstanden sind, existieren noch heute und bilden die Grundlage für einen Roman, der endlich geschrieben werden möchte. Ich muss mich nur noch entscheiden, welche Dinge ich rausstreichen soll, damit sich meine Geschichte glaubhafter anhört.

Immer die gleiche Frage

Zurück in Deutschland hörte ich immer wieder die gleiche Frage:

„Und? Wie war’s in Japan?“

Was sollte ich darauf antworten? Stabiles Internet, aber gewöhnungsbedürftige Tastatur?

Gesagt habe ich dann immer Folgendes:

„Tokyo war anstrengend (8-10 Stunden am Computer sind kein Zuckerschlecken). Es war aber super, meine Freunde wiederzusehen. Ich könnte da aber NIEMALS leben.“

Gedacht habe ich aber:

„Mensch, ich habe die 5 unglaublichsten Wochen meines Lebens auf einer Reise in Südostasien erlebt und du fragst mich jetzt ernsthaft nach der langweiligen Woche in Japan?!?“

Aber ich war ganz froh, denn ich hatte keine Lust, über meine Testreise zu sprechen. Das große Interesse an Japan hat mich da echt gerettet.

Sag niemals NIEMALS

Dass ich 2003 auf meiner Weltreise nochmal nach Japan kommen würde, war zwar nicht geplant, aber alleine, um meine Freunde mal wiederzusehen, hatte ich über einen Abstecher nachgedacht. Wenn ich schon mal in Asien bin!

Dann lernte ich unterwegs in China einen Japaner kennen, verliebte mich und ging mit ihm zusammen in seine Heimat – nach Japan.

Ich beendete meine große Reise dort in Fukushima.

Der Begriff Weltreise ist deshalb vielleicht etwas irreführend, denn was als Weltreise begann endete als Asienreise. Weiter bin ich leider nicht gekommen.

Und dass ich am Ende auch mit dem Kopf in Japan ankam, mich auf das Land einlassen konnte, sogar 6 Jahre meines Lebens dort verbrachte und mich in das Land verliebte, beweist nur eins:

Sag niemals NIEMALS!


Inspiriert zu diesem Artikel hat mich der Aufruf zur Blogparade „Sag niemals nie!“ vom Reiseblog Heldenwetter.de. Hier findest du noch mehr Geschichten, von Menschen die „Niemals!“ sagten und es dann doch taten.

Hast du eine ähnliche Erfahrung gemacht? Dann freue ich mich riesig, über deine Geschichte in den Kommentaren. 

23 Kommentare

  1. Pingback: Sag niemals nie: Aufruf zur Blogparade - heldenwetter

  2. Ein Ort ist immer so, wie du dich gerade fühlst. – Was für ein großartiger, wahrer Satz! Wie schade, dass du Tokyo und Japan bei deiner ersten Reise nicht wirklich aufnehmen konntest – aber was für ein Glück, dass es dabei nicht geblieben ist 🙂 Toller, sehr ehrlicher und spannender Artikel, vielen lieben Dank für die Einsendung zu meiner Blogparade!

    • Liebe Ariane,

      ich dank dir für das schöne Kompliment und für die Inspiration zu diesem Artikel. Bin gespannt, was sonst noch alles zusammenkommt und werde deine Sammlung hier später verlinken.

      Liebe Grüße
      Daniela

  3. Maria Walter

    Lieben Dank für diesen interessanten und spannenden Artikel. Ich kann immer richtig mitfühlen und es macht mir große Freude deine Erfahrungen zu lesen.
    Liebe Grüße Maria

  4. Ich bin schon sehr auf Tokyo gespannt. Wenn nichts dazwischen kommt, werde ich im Oktober dort hin fliegen. Dies wird meine erste große Reise werden und dann werde ich auch noch alleine unterwegs sein.
    Ich beneide dich ein wenig, daß du die Möglichkeit hattest, schon so viel von Japan sehen zu können. Ich interessiere mich zwar schon lange irgendwie für das Land und seine Kultur, aber ich habe leider erst vor gut einem Jahr, angefangen mich intensiv damit auseinander zu setzen.
    Liebe Grüsse vom Bodensee,
    Michaela

    • Liebe Michaela,

      da wünsche ich dir ganz viel Spaß und eine wunderschöne Reise mit vielen tollen Erlebnissen. Bin gespannt was du danach alles zu erzählen hast.

      Liebe Grüße in den Süden
      Daniela

  5. Was für ein schöner Bericht, Daniela. Solche Momente, in denen man nach aufregenden Wochen des Reisens nur noch alle Viere von sich strecken will und seine Ruhe haben will, kenne ich nur zu gut. Solche Augenblicke habe ich auch immer wieder erlebt, wenn ich länger auf Reisen war. Ich finde es toll, wie Du Deine Erlebnisse und Gefühle aus dieser Zeit beschreibst.

  6. Oh ja, genau so ist es auch mir bereits ergangen… Ich habe gedacht ich werde Latinamerika hassen und maximal 2 Monate dort verbringen – und alkes kam anders: reise nun schon seit 9 Monaten in Latinamerika 😉
    Glg aus Ecuador

    • Hört sich gut an – 9 Monate in Latinamerika reisen. Da beneide ich dich doch sehr drum.
      Hab eine ganz schöne Zeit und pass auf dich auf.

      Liebe Grüße aus Berlin
      Daniela

  7. Hallo Daniela,

    das ist ein ganz toller und persönlicher Artikel. Mir gefällt, wie du im Nachhinein auf diese Zeit zurückblickst. Ich bin mir sicher, viele Leser werden sich daran wieder erkennen.
    Herzliche Grüße
    Sabine

    • Liebe Sabine,

      lieben Dank für den Kommentar. Ich bin bestimmt nicht mit solchen Erlebnissen allein.

      Liebe Grüße
      Daniela

  8. Dann war Japan für dich Liebe auf den weiten Blick 😉 Ich denke du hattest damals einfach den Kopf, um deine Erlebnisse in Indonesien zu verarbeiten. Und die richtige Person hat dich dann für Japan erwärmt …

    • Ja. Recht hast du. Bin froh, dass es so gekommen ist. Hätte ich beim ersten Mal schon alles gesehen, hätte ich ja für die nächsten Male nichts mehr in Tokyo zu tun gehabt 😉

  9. Ein sehr schöner und authentischer Bericht, liebe Daniela! Ich musste sehr schmunzeln, mit Heidi und HelloKitty und japanischer Musik erging es mir ebenso wie Dir. Wir hatten 2015 schon einen Flug von Taiwan nach Tokyo gebucht. Waren damals bereits 7 Monate auf unserer Weltreise und hatten, ähnlich wie Du, eigentlich gar keine Kapazität mehr für neue Erlebnisse. Wir haben dann sehr spontan den Flug nach Tokyo gecancelt und sind dem Ruf unserer Gefühle gefolgt. Wir waren dann 4 Wochen auf unserer Trauminsel Gili Meno in Indonesien und alles war gut. Nach Japan möchten wir allerdings noch immer gern, und ich freue mich sehr, Deinen Blog über die FB Gruppe entdeckt zu haben. Ganz liebe Grüße aus dem Norden. Janine

    • Viele Dank liebe Janine, mit Gilt Meno habt ihr eine gute Alternative gefunden, um runter u kommen.

      Und Japan läuft ja nicht weg oder geht unter.

      Freu mich über dein Lob.
      Liebe Grüße Daniela

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