…an Shimokitazawa
„…Deswegen lebte man sein Leben besser so, dass man nichts bereute, und nahm mit, was man mitnehmen konnte. Ja, das war wohl das Beste…“
(Zitat Seite 221 aus Moshi Moshi / Banana Yoshimoto)
So lautet eines meiner liebsten Zitate aus dem Roman, den ich gerade gelesen habe und ich nehme es gleich hier mal vorweg:
Es folgt jetzt keine Buchrezension!
Banana Yoshimoto gehört zu den großen japanischen Schriftstellern dieser Zeit. Ihre Romane erzählen von der Jugend, der Entwicklung, dem Umgang mit dem Tod und sind voller tiefsinniger Gedanken und Gespräche. Manchmal denke ich, so umwerfende Dialoge führt doch in Wirklichkeit kein Mensch. Auch keine Japaner. Vielleicht mag es aber auch an der Übersetzung liegen, dass einige Ausdrucksweisen in Deutsch einfach schräg rüberkommen.
Entweder man mag ihre Romane oder man mag sie nicht, wie bei vielem im Leben.
Ich mag sie, weil mich die Themen interessieren und weil die Geschichten so schön japanisch sind. Ich mag die tiefgründigen Gedanken der Charaktere und ich mag es, dass die Bücher nicht zu dick sind!
Bloggen und Lesen
Seit ich blogge, habe ich immer ein schlechtes Gewissen, wenn ich ein Buch lese. Das ist schlimm. Denn ich lese fast so gerne, wie ich schreibe.
Aber sobald ich es mir mit einem Buch auf der Couch gemütlich mache, schreit eine Stimme in mir: „Und was ist mit dem nächsten Blogartikel? Solltest du nicht lieber schreiben???“
Die Stimme gewinnt oft und ich lege das Buch zur Seite.
Dieses Mal habe ich gewonnen!
Zur Geschichte
Der Klappentext hörte sich nach einer klassischen Banana-Yoshimoto-Geschichte an:
Der Vater begeht mit einer fremden Frau Selbstmord und Tochter und die Mutter müssen mit der Situation klarkommen. Das tut jeder auf seine Weise und der Stadtteil Shimokitazawa hilft ihnen dabei.
Die Geschichte ist soweit ok. Die Erwähnung des kleinen abgedrehten Stadtteils ist für mich am Ende ausschlaggebend, dass ich mir das 2015 in Deutschland erschienen Buch ausleihe.
Denn mit Shimokitazawa verbinde ich meine ganz eigene Geschichte.
Warum ich es verschlungen habe
Jetzt habe ich die 293 Seiten durch, habe sie regelrecht verschlungen und bin nachdenklich gestimmt. Noch sind die Eindrücke ganz frisch und beim Lesen kommen viele Erinnerungen zurück:
- Die Arbeit im einem Café in Japan.
- Das Beobachten seiner Gäste.
- Der Umgang mit dem Tod des Vaters.
- Wie ich fast übersinnlich Ereignisse spüren konnte, die über 9000 km entfernt passierten.
- Unerklärliche Träume, die am Ende Sinn ergeben.
- Erwachsen werden.
- Einen Neuanfang im Leben wagen.
Veränderungen im Leben akzeptieren…
Der Stadtteil Shimokitazawa
Die Beschreibungen von dem Viertel in Tokyo im Bezirk Setagaya bringt viele Erinnerungen zurück, die ich schon fast vergessen hatte:
Die kleinen Bars, die schmalen Gassen, bunte Schaufenster, Kleider an Hauswänden präsentiert, die ungewöhnlichen Secondhandläden, die Straßenmusiker an der Ecke, die Kellerclubs, kleine Cafés und Restaurants mit ihren überschaubaren Menükarten, die familiäre Atmosphäre, die einen vergessen lässt, dass man sich in einer der größten Städte der Welt befindet.
Warum mir dieser Stadtteil so ans Herz gewachsen ist?
Ein Schritt ins alte Leben
Ich habe [tooltip tip=“gesprochen: Dai-ske“]Daisuke[/tooltip], meinen jetzigen Mann und der Grund, warum ich überhaupt in Japan gelandet bin, auf Reisen kennengelernt. Diese Geschichte habe ich bereits HIER IM BLOG schon mal ausführlich erzählt.
Unterwegs, fern vom Alltag, lernt man einen Menschen aber auf eine ganz andere Art kennen.
Von seiner Vergangenheit und seinem Leben in Japan habe ich nur wenig gewusst.
Passen wir überhaupt zusammen? Die Frage stelle ich mir, besonders wenn wir unterwegs wieder streiten, was recht oft vorkommt. Auch fehlt mir die Meinung von außen, Familie und Freunde, die mich gut kennen, haben oft einen ganz anderen Blick auf so eine Beziehung.
Und dann die vielen Ausnahmesituationen auf Reisen, in denen wir uns oft wiederfanden.
So eine Urlaubsliebe ist ja ganz nett, aber wie sieht es im „echten Leben“ aus? Vielleicht ist Daisuke im normalen Alltag ein ganz anderer Mensch und wirkt nur auf der Reise so außergewöhnlich!
Abgesehen vom Verliebt sein – Zweifel und Gedanken solcher Art sind doch zu Anfang einer jeden Beziehung normal, oder nicht?
Lernen vom Leben des Anderen
Es war deshalb etwas ganz Besonderes und ein wichtiger Schritt, als er mich an seine Lieblingsorte der vergangenen Jahre in Japan mitnahm.
Als Student verbrachte er, neben den Vorlesungen in der Uni, viel Zeit in Shimokitazawa. Er liebte das Unkonventionelle, mochte die Kunstszene und den Style und hatte all seine Möbel hier erstanden, wie er mir erzählte.
Er fühlte sich hier wohl, wo man nicht auffiel, wenn man anders war oder anders dachte. Hier sah man individuelle Menschen, die nicht der japanischen Norm entsprachen: Männer mit langen Haaren, Tattoos und Bärte. Maler, Musiker, Schriftsteller, Fotografen und Künstler jeder Art fühlten sich hier zuhause.
Auch kannte Daisuke hier gute Jazzclubs, in die er mich ausführte und wir aßen gemeinsam in seinen Lieblingsrestaurants.
Er zeigte mir Läden, in denen er eingekauft hatte. „Schau mal, hier habe ich meinen blauen Schal gekauft, den ich immer auf Reisen getragen habe!“ und „meine ersten Birkenstocks habe ich gebraucht aus diesem Laden!“
Shimokitazawa hat mir eine andere Seite von Daisuke gezeigt. Und ich hatte endlich das sichere Gefühl: Wir haben den gleichen Geschmack, sind uns ähnlich und passen gut zusammen. Wir gehören zusammen.
Endlich konnte ich mir ein Bild von dem Studenten machen, bevor er zum Reisenden wurde.
Shimokitazawa ist im Wandel
Das Shimokita*, das ich 2003 kennengelernt habe, hat sich in den Jahren verändert, verändert sich immer weiter, auch heute noch.
Banana Yoshimoto, die Autorin des Romans, lebt selbst in Shimokitazawa. Sie musste erleben, wie ihr Stammlokal, das kleine alte französische Bistro, in welchem viele Szenen aus dem Roman spielen, irgendwann abgerissen wurde. Sie sah, wie sich ihre Umgebung täglich veränderte und hat diese Beobachtungen in ihrem Roman auf sehr gelungene Art und Weise mit der Geschichte verknüpft. (Interview mit Banana Yoshimoto.)
In ihren Erinnerungen und mit den Beschreibungen im Roman hat sie es geschafft, das alte Flair des Bistros und des gesamten Stadtteils zu bewahren und nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.
Danke. Bei mir hat es gewirkt. Und deshalb hat es unglaublich viel Spaß gemacht, Moshi Moshi zu lesen.
„Man konnte den Menschen die Landschaft in ihrem Inneren und ihre gelebte,
im Herzen aufbewahrte Zeit nicht nehmen. Niemand konnte das antasten.
…
Das hast du mich gelehrt, Shimokitazawa, weil du mich in dir aufgenommen hast.
Auch dir ein großes Dankeschön. Selbst wenn du dich verändern wirst,
lass stur und kräftig deine Knospen sprießen, bleib hier für immer!“
(Zitat Seite 292 aus Moshi Moshi)
Autorin: Banana Yoshimoto
Titel: Moshi Moshi
Originaltitel (Japanisch): Moshi Moshi Shimokitazawa
Verlag: Diogenes
Taschenbuch und als gebundene Ausgabe (304 Seiten)
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Wow! Dieses Buch hat dich ja wirklich zum Nachdenken angeregt! Schön, dass du dadurch das Gefühl hast, eine neue Seite an deinem Mann kennengelernt zu haben 🙂
Ich finde das Zitat am Anfang übrigens sehr cool und lebe auch in etwa danach… Wir wissen nicht, wann es vorbei ist. Morgen? In 10 Jahren? In 50 Jahren? Also lebe ich jeden Tag… Kein Bereuen und alles mitnehmen, was geht 😀
Liebe Grüße
Barbara
Ja. Recht hast du 🙂 Ich muss mir das selbst oft genug sagen, damit ich es nicht vergesse: nicht lang warten, lieber machen…
Liebe Grüße
Daniela
oh wie schön – es ist immer besonders wenn sich ein buch und das eigene Leben so treffen. Ich mag die Autori auch sehr gern.
Aus „Kitchen“ hatte ich mir gemerkt: auf last uns Erinnerungen erschaffen“ oder so ähnlich das find ich viel schöner als die ganzen Sprüche wo man aufgefordert wird zu leben weil es ja bald zuende sein kann.
Erinnerungen haben für mich einen großen Wert. Ich möchte gerne schöne Erinenrungen haben und vorallem auch Menschen mit denen ich Sie teile.
Liebe Grüße
Bekomme bei Dir beim lesen immer große Lust nach Japan zu reisen.
Das hast du unheimlich schön geschrieben. Einen ganz lieben Dank dafür.
Um Erinnerungen zu schaffen, muss man ja erstmal was erleben, oder? Also, auf nach Japan 😉
Einen ganz lieben Gruß
Daniela
Hallo Daniela,
schön, dass Dich das Buch so zum Nachdenken angeregt hat. Ich finde es toll, dass Dein Mann mit Dir die Orte gemeinsam nach-erkundet hat. Als ich letztens mit meiner Familie in Düsseldorf war, habe ich auch gerne gezeigt, wo ich mal gearbeitet habe.
Liebe Grüße
Anja
Liebe Anja,
so ein Einblick in dein altes Arbeitsleben war sicher sehr interessant für deine Familie. Klasse.
Einen Herzlichen Gruß aus Berlin
Daniela
ein sehr berührender, persönlicher Post…. danke 🙂
und wenn nur dafür hat es sich doch gelohnt, das Buch zuerst zu Ende zu lesen, und danach an die Tastatur zu gehen und selbst zu schreiben. 🙂 lg
Lieben Dank. Manchmal inspiriert ein gutes Buch dann doch. Werde jetzt wieder mehr lesen.
Hallo Daniela,
Orte mit so vielen persönlichen Emotionen zu besuchen, ist etwas wunderbares! Ich hatte in Tokio auch den Schauplatz meines Lieblingsanimes, der mitten aus dem Tokioter Stadtbild entstand, besucht und bekomme jetzt immer wieder beim Anschauen des Films eine Gänsehaut.
Viele Grüße
Elisa
Hallo Elisa,
Da wird so ein Film nochmal was ganz anderes, wenn man schon mal selbst dort war. Meistens jedenfalls.
Liebe Grüße
Daniela