Oder warum mich alle für verrückt erklärten
6 Wochen Sommerferien in Japan
Das ist eine ungewöhnlich lange Zeit, die ich gerne zum Reisen nutzen möchte.
Als Lehrerin an einer Junior High School werde ich in den Sommerferien nicht gebraucht. Mein Mann Daisuke als Fotograf leider schon.
Wir entschließen uns deshalb schweren Herzens, getrennt voneinander zu reisen.
Endlich mal wieder allein Reisen
Mit dem Gedanken kann ich mich anfreunden, denn ich bin ein begeisterter Alleinreise-Fan.
Absolut frei und ungebunden, alle Entscheidungen alleine treffen zu können, hört sich super an.
Ich träume insgeheim schon lange von einer Reise mit dem Fahrrad und jetzt fehlt mir nur noch ein geeignetes Ziel.
Etwas Exotisches, Warmes, ein nicht zu bergiges Japan möchte ich bereisen, am liebsten natürlich mit einer eigenen Kultur, die ich entdecken kann.
So stehe ich vor dem Zeitschriften-Regal der Buchhandlung und blättere mich durch die Magazine. Das Ziel ist schnell gefunden:
Mein Sommerabenteuer 2005 heißt: OKINAWA
In meinem Alltag als Englischlehrerin habe ich leider kaum Gelegenheit, mein Japanisch anzuwenden. Mit Daisuke spreche ich nach wie vor meistens Englisch.
Allein in Japan zu reisen bedeutet für mich deshalb auch, mein Japanisch zu benutzen. Darauf freue ich mich ganz besonders.
Eine lange Reise hat außerdem den Vorteil, dass ich langsam reisen kann und damit Geld spare. Deshalb nehme ich mir auch nicht allzu viel vor und möchte mich treiben lassen. Ungeplant und möglichst günstig soll die Reise werden.
Auch ohne große Pläne:
Aber Vorbereitungen müssen getroffen werden
Die Reisezeitschrift für Okinawa mit viel Kartenmaterial wird gekauft.
Komplett auf Japanisch, muss ich bei den Texten mit den vielen Kanjis, den Schriftzeichen, schon mal passen. Ich kann Vieles einfach nicht lesen.
Aber die Fotos sehen alle toll aus: blaues Meer, weiße Strände, unglaubliche Küstenstraßen, sehr relaxte Atmosphäre und ungewöhnliches Essen.
In der Zeitschrift finde ich interessante Angebote zu Flügen und zu den Fährverbindungen auf die Hauptinsel Okinawas, Okinawa-Honto.
Super! Langsamer reisen geht wohl kaum – nur hinschwimmen vielleicht noch.
Fähren gibt es von Osaka oder vom näher gelegenen Sendai, wobei die Fähre von Sendai nur einmal in der Woche fährt und für mich an einem ungünstigen Tag.
Dazu kommt, ich war noch nie in Osaka, also auch das wird beschlossene Sache:
Fukushima –> Osaka –> Naha / Okinawa
Nach gebuchter Fähre bin ich um 18.300 Yen ärmer, dafür habe ich einen Schlafplatz in der 3. Klasse auf der Arimura Sangyo*. Die Fahr dauert zwar 30 Stunden, aber da ich zwei Nächte auf dem Schiff verbringen werde, bedeutet das: zwei Übernachtungen gespart.
*die Firma Arimura Sangyo, die Fähren von Osaka nach Taiwan über Okinawa angeboten hat, ist leider pleite gegangen. Eine Alternative heute wäre von Osaka nach Naha / Okinawa für knapp 20.000 Yen in der 2. Klasse mit Aline-Ferry (Fährverbindungen für Japan)
Um den Rückweg mache ich mir erstmal noch keine Gedanken.
Ob ich eine Fähre zurück nehme oder über die Inseln zurück nach Kyushu „hüpfe“ und dann in 3 Tagen mit den regionalen Zügen zurück nach Fukushima eiere, das entschiede ich dann später. Auf der Fähre habe ich ja 30 Stunden Zeit, mir ausgiebig darüber Gedanken zu machen.
Für die Zugfahrt nach Osaka habe ich mir auch etwas Günstiges überlegt.
Als in Japan Lebende, komme ich leider nicht in den Genuss des JR Passes. Mit dem kann man als Tourist mit den Shinkansen, den japanischen Schnellzügen, schnell weite Strecken zurücklegen.
青春18きっぷ • Seishun 18 Kippu
Die günstige Alternative ist das spezielle Sesonticket – Seishun 18 (Juhachi) Kippu – das kostet 11.500 Yen (mittlerweile 11.850 Yen) . Mehr Infos dazu HIER.
Das Ticket beinhaltet 5 Tages-Tickets, die man an unabhängigen Tagen innerhalb von 3 Monaten verwenden kann. Man kann damit theoretisch durchs ganze Land fahren, was zeittechnisch an einem einzigen Tag aber kaum möglich ist, denn der kleine Haken an dem Ticket ist: Man darf nur regionale Züge der Japan Railway Company (local & rapid JR) verwenden, also keine Shinkansen.
Die Strecke von Fukushima nach Osaka bedeuten in Regional-Zug-Sprache:
15 Stunden Zugfahrt und 8 Mal umsteigen!!! Und Nachts fahren in Japan keine Regionalzüge.
Ich muss um 23 Uhr am Hafen von Osaka sein und wenn ich den ersten Zug des Tages nehme und beim Umsteigen kein Fehler machen, dann habe ich sogar noch etwas Zeit, in Osaka ein Okonomiyaki Restaurant aufzusuchen, um das bekannteste Gericht Osakas vor Ort zu probieren.
Das ist doch mal ein Plan!
Und da man die Regionalzüge nicht im Voraus buchen muss, bin ich mit meinen Vorbereitungen fast durch, nachdem ich auch noch ein Bett im Mehrbettzimmer in einer günstigen Unterkunft in der Hauptstadt von Okinawa-Honto für die ersten Nächte reserviert hab.
Ach ja, das Fahrrad!
Das kaufe ich mir dann einfach vor Ort. In Naha wird es sicher auch Fahrradläden oder Baumärkte mit Fahrradverkauf geben, wo ich ein günstiges Fahrrad finden kann. Das kann ich dann am Ende wieder verkaufen – so die Idee.
Meiner Reise steht jetzt nichts mehr im Wege, oder?
Mit meiner Reisezeitschrift in der Tasche mache ich mich auf den Weg zu meinem Japanischunterricht. Ich besuche einmal die Woche eine „Volunteer Teaching – Japanese Class“. Im Einzelunterricht versuchen Japaner, oft ehemalige Lehrerinnen und Lehrer, Ausländern beim Japanisch lernen zu helfen. Unterrichtsinhalte darf ich immer frei wählen.
Ich habe mir gedacht, wir könnten die Zeitschrift über Okinawa mal durchgehen und ich schreibe mir die Namen der Orte rein, damit ich weiß, wohin ich unterwegs bin.
Vom ungewöhnlichen Unterrichtsstoff ganz angetan, habe ich an diesem Tag gleich 5 Lehrerinnen und Lehrer, die sich um mich kümmern. Viele waren schon mal ein verlängertes Wochenende auf Okinawa und schwärmen von den Inseln. Ich werde überschüttet mit Tipps und Empfehlungen.
Als sie aber von meine Pläne hören, werde ich für total verrückt erklären. War mir gar nicht so bewusst, dass das einen völlig abwegiger Plan ist, den ich mir da in den Kopf gesetzt habe.
Eine Stecke von fast 2000 km mit regionalen Zügen und Fähre zu bewältigen, käme einem Japaner nie in den Sinn. Für den Japaner mit nur wenig Urlaubstagen ist das reine Zeitverschwendung.
Verständnisloses Kopfschütteln dann, als sie hören, dass ich mit einem noch nicht vorhandenen Fahrrad über die Inseln radeln will, im Hochsommer, bei unerträglicher Hitze.
Ängstliche Blicke meiner Japanischlehrer, wenn sie sich vorstellen, dass ich dort auch noch zelten will: „Was ist mit Habu? Auf Okinawa gibt es giftige Schlangen – Habu genannt! Da willst du zelten? Und im Sommer wird Okinawa regelmäßig von starken Taifunen heimgesucht, da willst du wirklich Fahrrad fahren und ganz alleine im Zelt schlafen?“
Von der nicht geplanten Rückreise erzähle ich lieber nicht. Wobei ich die vielleicht auch nicht mehr brauche, nach dem was ich da gerade so höre.
Jetzt bin ich etwas verunsichert, um ehrlich zu sein.
Bin ich total verrückt geworden?
Ist der Plan zum Scheitern verurteilt?
Die Lehrer aus meiner Japanischklasse können meine Berichterstattung nach meiner Rückkehr (daran glauben sie also doch!) kaum erwarten.
Ich bekomme von jedem die Handynummer für den Notfall und falls ich Hilfe benötigen sollte, denn man erklärt mir, was ich auch nicht wusste: Viele ältere Menschen sprechen auf Okinawa einen ganz besonderen Dialekt, den Okinawa Hogen • 沖縄方言 oder Uchinaaguchi • ウチナーグチ wie diese ganz eigene Sprache auf Okinawa genannt wird.
Dann bekomme ich noch eine Liste mit Köstlichkeiten, die typisch für Okinawa sind und die ich unbedingt probieren soll.
Wir übersetzen noch schnell die Ortsnamen und die vielen wichtigen Hinweise und Warnungen, die wir in der Zeitschrift finden können.
Die Menschen auf den Inseln sagen auch nicht Okinawa • 沖縄, sondern nenne „ihr Land“ Ryukyu • 琉球.
Am Ende bleibt nur noch, mir eine gute und vor allem sichere Reise zu wünschen!
Am 23. Juli 2005 stehe ich verdammt früh um 6 Uhr am Bahnsteig auf Gleis 1 und warte auf meinen Regionalzug – nicht nach Osaka, denn erstmal geht es zum Umsteigen nach Kuroiso…
Einen Überblick über die gesamte Artikelserie findest du hier:
Hast du schon mal eine Reise geplant, von der du dachtest, es ist die beste Idee deines Lebens, aber alle anderen halten dich einfach nur für verrückt?
Liebe Daniela,
schöner Artikel. Danke! 🙂
Viele Grüße aus Tokio,
Tessa
Dankeschön, liebe Tessa.
Toll! Danke für den ausführlichen Einstieg in deine neue Themenreihe 🙂
Liebe Grüße
Barbara
Und das ist erst der Anfang. 😉
ich bin so gespannt auf die Fortsetzung! 🙂
echt krass, und soooo spannend dieses Japan… ahhhh
Wow, ich bin grade ganz gefesselt beim lesen, muss gleich weiter lesen die anderen Teile. Ich bin auch ein Fan des Alleinereisens geworden in den letzten 12 Monaten 🙂 bin schon gespannt was 2017 für mich bringt!
Liebe Julia,
Das ist ja spannend. Alleinreisen ist klasse. Die vollkommene Unabhängigkeit, oder?
Ich wünsche dir ein aufregendes Jahr 2017.
Daniela